Kategorie: Allgemein

Jan Bosch – Why Large Companies Change Slowly

There are at least three ways in which companies build up this straitjacket for their employees […]

The second pattern is a tendency towards irrational responses to issues. Some problem surfaces somewhere in the company and the response is to put new rules and constraints in place to ensure that the problem can never reappear. In many situations, the new rules and constraints are a cure that is much worse than the ailment. In the worst situation, the cure will not even fix the problem, but just put additional bureaucracy on individuals and teams.

AccsoCon – Digitalisierung: Vortrag zu Digitalen Ökosystemen und Plattformen

Die AccsoCon ist die interne Konferenz der Firma Accso zu aktuellen Themen in der IT. Am 16.03.2018 fand die Konferenz zum Thema „Digitalisierung“ statt. Matthias Naab vom Fraunhofer IESE war als Sprecher mit einem Vortrag zu Digitalen Ökosystemen und Plattformen dabei. Er illustrierte neue Erkenntnisse am Beispiel des B2B Daten- und Servicemarktplatzes Caruso Dataplace.

Die AccsoCon bot ein sehr vielfältiges, interessantes und unterhaltsames Programm, das ich hier nochmal kurz Revue passieren lassen möchte. Ich freue mich, als Sprecher dabei gewesen zu sein und konnte alle Vorträge und viele spannende Diskussionen genießen.

Die Accso-Mitarbeiter waren auch auf Twitter sehr aktiv, so kann man auch nochmal die Highlights der Konferenz nachverfolgen: #accsocon und @accso.

Sören Kewenig
Digitalisierung

Sören Kewenig führte zielgenau auf das Thema hin, indem er für verschiedene Branchen beleuchtete, was Digitalisierung dort aktuell bedeutet (Mobilität, Produktion, Finanzwesen, …).

Kim Lauenroth
Der Digital Designer als neuer Partner für den Softwarearchitekten

Kim Lauenroth ordnete detaillierter ein, wie man den Begriff „Digitalisierung“ differenzieren kann: Digitale Produkte, Digitale Prozesse, Digitale Geschäftsmodelle … leider gibt der deutsche Begriff Digitalisierung diese Unterscheidung nicht her.

Dann postulierte er das neue Rollenideal des Digital Designers, der notwendige Kompetenzen für die Gestaltung von Software-basierten Systemen bündelt und technischen Rollen des Software Engineering gegenüber gestellt ist. Er bemühte dafür insbesondere den Vergleich mit Architekten und Bauingenieuren.

Er prangerte an, dass die Informatik in der Ausbildung zu undifferenziert ist und setzt sich dafür ein, einen Ausbildungsweg zum Digital Designer zu etablieren.

Alexander Culum
Driving Blockchain Adoption: The Challenges ahead

Alexander Culum positionierte die Blockchain als allgegenwärtigen Protagonisten, wenn über Digitalisierung gesprochen wird. In erfrischender Art betonte er, dass die Blockchain eben nicht die Lösung für alles ist, auch wenn der Begriff reflexartig in den Ring geworfen wird. Er differenzierte geschickt und erklärte fortgeschrittene Anwendungsszenarien und technische Eigenschaften und Implikationen der Blockchain.

Eric Wilde
API-Economy: Who is in the Driver’s Seat?

Eric Wilde befasste sich mit der API-Economy. Seine Haupt-Message:

„Es geht nicht einfach darum, APIs zu monetarisieren, sondern es geht um Geschäftsmodelle, die Services und Inhalte über geeignete APIs den Kunden zur Verfügung stellen.“

Matthias Naab
Caruso: Ökosystem und Plattform

Ich hielt einen Vortrag zum Thema Digitale Ökosysteme und Plattformen. Am Beispiel unseres Kunden Caruso Dataplace konnte ich viele Erfahrungen illustrieren und eine angeregte Diskussion initiieren. Der Vortrag gab einen Überblick über folgende Themen:

  • Einordnung von Digitalisierung, Digitaler Transformation, Plattformen, Ökosysteme
  • Was sind die Ideen hinter Caruso: Geschäftlich, technologisch, rechtlich?
  • Wie sieht das Caruso-Ökosystem, die Partnerlandschaft und die Plattform aus?
  • Welche Arten von Plattformen gibt es in der Branche und wie stehen diese in Bezug zu Caruso?
  • Erfahrungen aus dem Aufbau des Ökosystems und der Plattform

Gunter Dueck
Reise durch Disruptionen

Gunter Dueck hielt einen mitreißenden Vortrag, in dem er sarkastisch IT, deutsche Unternehmen, den aktuellen Stand der Digitalisierung, Management-Strategien und vieles weitere beleuchtete.

Er appelierte, Verantwortung zu übernehmen, einfach zu machen, schwachsinniges Vorgehen zu ignorieren und damit einen echten Beitrag zum Standort Deutschland und seiner Digitalisierung zu leisten.

Gregor Hohpe: Warum interne Reibung und Ineffizienz in Unternehmen 1.) besonders den eigenen High-Peformern schadet und 2.) die so wichtige Bindung neuer Top-Talente verhindert.

„Bei uns ist alles anders!“

Jeder von Euch war sicherlich schon in einer solchen Situation:

  • Der Chef kommt von einer Konferenz: „Wir führen jetzt DevOps ein!“
  • Ein Kollege kommt von einer UX-Weiterbildung: „Wir sollten ab jetzt Paper Prototyping machen!“
  • Der Product Owner kommt von einem neuen Kunden: „Wir sollten den Kunden ganz eng in die Entwicklung einbinden!“
  • Der CIO kommt von einem Vortrag über Netflix: „Unsere Software muss jetzt bei Amazon Web Services betrieben werden.“

Alle berichten enthusiastisch über ihre neuen Erkenntnisse und die Reaktion der Kollegen ist häufig die gleiche: „Das ist zwar schön, geht aber bei uns nicht, weil:“

"Bei uns ist alles anders"

Auf den ersten Blick erscheint diese Aussage meist plausibel und wird oft öffentlichkeitswirksam mit einem Beispiel unterlegt. Dennoch hält diese Aussage bei genauerem Hinsehen oft nicht stand. Hierfür sind uns bisher hauptsächlich 2 Ursachen begegnet: Subjektiv wahrgenommene, extreme Komplexität oder eine überzogene Erwartung bezüglich der Präzision von Software Engineering (SE) Methoden.

Wahrgenommene Komplexität

Dass wir uns in der eigenen Domäne besonders gut auskennen, ist eine absolute Stärke und notwendig, um tolle Produkte zu bauen: Wir kennen die Kunden (manche davon sogar persönlich), die Konkurrenz, den Markt, wichtige Einflussfaktoren und vor allem die Historie des eigenen Unternehmens.

Das hat aber nicht nur Vorteile: Weil wir für unser eigenes Unternehmen alle Details und (noch so abstrusen) Spezialfälle kennen, erscheint unser eigenes Business als viel komplizierter als das der Konkurrenz. Weil wir deren Details und Spezialfälle eben nicht kennen, tendieren wir eher dazu, sie zu simplifizieren. In unserem eigenen Unternehmen sehen wir oft den Wald vor lauter Bäumen nicht und die Fähigkeit zur Abstraktion bleibt im Tagesgeschäft auf der Strecke. Wir tendieren somit dazu, die Situation im eigenen Unternehmen zu übertreiben und die Situation von anderen Unternehmen zu untertreiben.

Untertreiben der fremden Situation, Übertreiben der eigenen Situation

Die wahrgenommene Komplexität (im eigenen Unternehmen) nimmt noch dadurch zu, dass Unternehmen oft groß sind und das Wissen auf viele Köpfe verteilt ist. Somit ist es dem Einzelnen meist gar nicht möglich, sich eine Übersicht zu verschaffen. Um trotzdem zur notwendigen Abstraktion zu kommen, müssen sehr viele Leute involviert werden. Die dadurch entstehende Prozesskomplexität wird dann als Komplexität des zu lösenden Problems wahrgenommen. Diese Prozesskomplexität nimmt man bei der Konkurrenz nicht wahr und somit erscheint deren zu lösendes Problem einfacher.

Diagramm - Wahrgenommene Komplexität

Wahrgenommene Komplexität in Abhängigkeit zum eigenen Detailwissen

Schauen wir uns als Beispiel die Einführung von DevOps an. Wir haben von vielen Unternehmen gehört, dass es erfolgreich eingeführt wurde. Soll es aber bei uns zum Einsatz kommen, dann fallen uns alle Details ein, die dagegen sprechen: alle zu involvierenden Personen und ihre Eigenheiten, Machtspiele und Veränderungsresistenzen, die Komplexität in Varianten und Releases der eigenen Produkte und Systeme und alle internationalen Unterschiede. Alle diese Details sind uns von den anderen Unternehmen nicht bekannt und führen somit nicht zu wahrgenommener Komplexität.

"Überzogene Erwartung"

(Uns) Informatikern fällt es besonders leicht, Gegenbeispiele zu finden, die belegen, dass eine Neuerung nicht 100%ig angewendet werden kann. Dies gilt meist sogar für eine Anwendung im Allgemeinen aber auf jeden Fall für eine Anwendung im eigenen Unternehmen. Selbst wenn die Neuerung zu 99,9% angewendet werden könnte, so finden wir die 0,1%, in denen es nicht funktioniert. Somit liefern wir den Todesstoß durch Gegenbeispiele:

  • „Herr Müller aus dem Betrieb würde niemals mit uns zusammenarbeiten, daher können wir kein DevOps einführen!“
  • „Bei uns können nicht alle Mitarbeiter zeichnen, somit können wir kein Paper Prototyping einführen!“
  • „Die meisten unsere Kunden wissen eh nicht was sie brauchen, somit können wir sie auch nicht in die Entwicklung mit einbinden!“
  • „Wir hatten auch schon mal Kunden aus dem militärischen Bereich, somit dürfen wir gar keine Daten in der Cloud speichern und schon gar nicht bei einem Unternehmen aus den USA!“

Häufig ist jedoch unser Anspruch an SE-Methoden zu hoch. Statt zu erwarten, dass sie uns in einem überwiegenden Teil der Fälle helfen, erwarten wir 100% Anwendbarkeit und Präzision, am besten anwendbar ohne viel Vorwissen und trotzdem mit tollen Ergebnissen. Sofern dies nicht vollständig gegeben ist, tendieren wir stark zur Ablehnung der Methode. Eine solch ablehnende Haltung wird dann gleich noch generalisiert und die Anwendbarkeit der Methode grundsätzlich in Frage gestellt. Es erscheint plausibel, die 99,9% Verbesserung sicherheitshalber fallen zu lassen, da die Methode nicht 100% funktioniert.

"Software Engineering ist keine exakte Wissenschaft!"

Dabei vergessen wir leider: Software Engineering ist keine exakte Wissenschaft. Vielmehr dient es dazu, den Umgang mit vielen komplexen Einflussfaktoren in der Entwicklung von Software besser beherrschbar zu machen:

  • Mitarbeit von vielen Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Wissensständen
  • Lösung immer neuer Problemstellungen durch Software. Diese Problemstellungen sind meist nicht klar, ändern sich über die Zeit und werden von verschiedenen Menschen verschieden wahrgenommen
  • Verwendung innovativer Technologien, die häufig nicht in allen Facetten verstanden sind

In einem solch komplexen und heterogenen Umfeld ist es eigentlich klar, dass SE-Methoden nur mit Abstraktionen arbeiten und Approximationen anbieten können. Sie sind selten wirklich formal und erfordern immer ein gewisses Expertenwissen. Im Umkehrschluss ist es dann die Aufgabe der anwendenden Menschen, die Übertragbarkeit oder Nichtübertragbarkeit zu erkennen und im Falle einer Anwendung auch konkret auszugestalten.

In der konkreten Anwendung von SE-Methoden bleibt daher immer der Mensch gefordert: Er hat Gestaltungsspielraum und kann seine Kreativität einbringen. Softwareentwicklung ist keine überaus planbare und vorhersehbare Aktivität, sondern erfordert einen hohen Grad Forschungs- und Planungstätigkeiten (Gedanken dazu in einem Blog-Beitrag von Ralf Westphal).

"Es gibt keine Flileßband-Tätigkeiten im Software Engineering!" (Foto: Pradit.Ph / Shutterstock.com, http://www.shutterstock.com/gallery-2909461p1.html?cr=00&pl=edit-00)

Tätigkeiten mit extrem hoher Wiederholbarkeit (wie zum Beispiel Montage am Fließband) gibt es bei der Softwareentwicklung fast nicht, insbesondere weil Software, einmal erschaffen, beliebig ohne Aufwand vervielfältigt werden kann. Für alle wiederkehrenden Aufgaben entstehen Tools zur Automatisierung, wie zum Beispiel für die Testautomatisierung oder für Continuous Delivery. Zu großen Teilen  ist Softwareentwicklung aber weniger formal und planbar und fordert mehr den Menschen. Wäre dies nicht so, dann wäre Softwareentwicklung mittlerweile vollständig automatisiert und nicht mehr auf Menschen angewiesen. Obwohl das offensichtlich ist, haben dennoch viele den Wunsch nach einer Supermethode, die perfekt auf jeden Kontext passt, völlig reproduzierbar ist (und im Falle der Existenz direkt alle Jobs kosten würde).

Das alles soll natürlich nicht heißen, dass SE-Methoden nicht noch weitaus besser werden können und müssen. Mary Shaw zeigt sehr gut auf, wie sich Software Engineering gegenwärtig gegenüber anderen Ingenieursdisziplinen positioniert und welches Verbesserungspotential noch besteht. Die (angewandte) Forschung hat also noch viel zu tun!

In diesem Wissen über SE-Methoden müssen alle Beteiligten handeln: nicht vorschnell Methoden und Ideen ablehnen. Bevor wir sagen „bei uns ist alles anders“ sollten wir darüber nachdenken, wo Abstraktion und Approximation am Werk sind. Die Kunst ist es also gerade nicht, durch ein Gegenbeispiel eine neue Idee auszuhebeln, sondern umfassend zu beurteilen, ob in der Summe eine SE-Methode wirtschaftlich und erfolgreich einsetzbar ist. Das Ergebnis einer Beurteilung ist oft nicht offensichtlich, wer jedoch zu einem Ergebnis kommen kann ist offensichtlich ein Experte.

Mut zur Naivität (Softwareforen Leipzig)

Dachterrasse der Softwareforen Leipzig

Das 10. Treffen der User Group Requirements Engineering der Softwareforen Leipzig hatte den Themenschwerpunkt „Effektive Anforderungserhebung und Ideenfindung im Requirements Engineering“ (hier gibt es die vollständigen Veranstaltungshinweise als PDF). Zum Auftakt der Veranstaltung wurde die Erhebung von Anforderungen oder Informationen im Allgemeinen zunächst einmal nicht aus dem Blickwinkel der Informatik oder des Software Engineerings betrachtet.

10 Grundregeln für verständliche Texte (im Radio)

Der Radio-Journalist Christian Bollert (BEBE Medien GmbH, detektor.fm) berichtete von seinen Erfahrungen beim Vorbereiten und Durchführen von Interviews fürs Radio. Radiohörer haben leider nicht die Möglichkeit bei einem Wort, das sie nicht verstehen kurz anzuhalten und das Wort nachzuschlagen. Auch können sie nicht einfach einige Seiten zurückblättern, um noch einmal etwas nachzuschlagen. Daher müssen Texte im Radio einfach zu verstehen sein. Ich sehe jedoch keinen Grund, warum geschriebene Texte komplizierter sein sollten, schon gar nicht wenn es um Anforderungen geht. Die 10 Grundregeln für Texte im Radio, die Christian Bollert vorgestellt hat, können somit für jegliche Art von Text angewendet werden:

  1. Kurze, verständliche Sätze, möglichst wenig Nebensätze
  2. Gesprochene Sprache, keine Kunstsprache. Nach dem Motto: Wie erzähle ich es einem Freund – mündlich!
  3. Sätze zum Vorlesen sprechend entwickeln (laut vorlesen)
  4. Aktiv statt Passiv; kein Nominalstil, verbal schreiben
  5. Sätze nicht mit Informationen überfrachten
  6. Eines nach dem Anderen erklären
  7. Fremdwörter oder Fachbegriffe sofort erklären oder ganz darauf verzichten
  8. Namen und zentrale Begriffe wiederholen – Redundanz erwünscht! („Redundanz statt Varianz“)
  9. Bildlich vergleichen: So groß wie ein Fußballfeld
  10. Füllwörter nutzen. Sie ermöglichen Atempausen und verbinden (Beispiele: „deshalb“, „darum“, „aus diesem Grund“)

Gerade technische Texte beschreiben oftmals eine überaus komplexe Fachlichkeit. Daher sehe ich überhaupt keinen Grund, warum diese Texte durch umständliche Formulierungen weiter verkompliziert werden sollen.

"Interviews sollten immer sehr gut vorbereitet werden."

Requirements Engineers verwenden oftmals leider nicht allzu viel Zeit auf die Vorbereitung von Interviews mit Stakeholdern. Zudem wird bei der Vorbereitung meist nur festgelegt WAS man von einem Stakeholder wissen möchte und leider nicht WIE man eigentlich danach fragt. Auch hier hatte Christian Bollert nützliche Hinweise. Er hat 12 verschiedene Typen von Fragen vorgestellt und dabei neben Beispiele auch beschrieben, unter welchen Umständen man den jeweiligen Fragentyp einsetzen sollte. So soll beispielsweise die Entscheidungsfrage „Was brauchen Kinder ihrer Meinung nach mehr: mehr Freiheit in der Erziehung oder mehr Struktur?“ verhindern, dass der Befragte um den heißen Brei herumredet oder sich einfach herausreden kann. Mehrfachfragen sollten gar nicht gestellt werden, da Befrage eigentlich nur die Einzelfragen beantworten, die ihnen am besten zusagen und sowieso nie alle Einzelfragen beantworten.

"Mut zur Naivität!"

Auf die Frage „Was macht einen guten Interviewer aus?“ gab Christian Borschert die folgende Antwort:

  • Empathie
  • Geduld
  • Höflichkeit
  • Rollendistanz zum Thema

Der letzte Punkt seiner Antwort warf dann jedoch die Frage auf, ob Fachwissen für Interviewer bzw. Requirements Engineers hilfreich oder schädlich ist. Darauf antwortete Christian Borschwert: „Manchmal ist es gut, wenn man ein Experte ist, sich aber traut trotzdem wieder naive Fragen zu stellen. Wenn das gelingt, dann ist man einer der Großen.“ Also: „Sei schlau, stell Dich dumm.“ Aus eigener Erfahrung kann ich mich hier uneingeschränkt anschließen. Es lohnt sich eigentlich immer auch grundlegende Konzepte noch einmal zu klären. So sollte man nicht davor zurückschrecken, z.B. in einem Versicherungsunternehmen noch einmal zu fragen „Was ist eigentlich ein Tarif?“ Darauf folgt leider nicht selten die Antwort „Solche grundsätzlichen Fragen müssen wir hier nicht mehr klären. Jeder von uns weiß, was ein Tarif ist.“ Lassen sie sich nicht abschrecken und fragen sie ruhig weiter nach: „OK, dann erklären Sie es mir bitte dennoch einmal. Ich kenne mich in Ihrer Domäne nicht so gut aus.“ Meist stellt sich dann heraus, dass es doch nicht so klar ist, was ein Tarif tatsächlich ist. Sollten mehrere Personen an der Befragung teilnehmen, so haben diese fast immer ein unterschiedliches Verständnis, selbst (oder gerade) von grundsätzlichen und vermeidlich einfachen Dingen. Es lohnt sich immer mutig zu sein und naive Fragen zu stellen.

RE ist wie Autofarhen

In seinem tollen Vortrag „Kultur, Methode, Werkzeug – Drei Bausteine effektiver Anforderungserhebung“ verglich Sebastian Adam (Osseno Software GmbH) Requirements Engineering mit einer Autofahrt von Kaiserslautern nach Leipzig. Auf äußerst unterhaltsame Weise veranschaulichte er die Herausforderungen und Entscheidungen, die beim Aufsetzen und der Durchführung eines unternehmensspezifischen Requirements Engineerings getroffen werden müssen. Immer wieder wurde der Vergleich zu einer Autofahrt gezogen:

  • Auto = Tool / Methode:
    Man kann einen Laster, einen Kombi oder einen Sportwagen verwenden. Mit allen Fahrzeugen (Tools) kommt man ans Ziel. Jedoch hat jeder Autotyp vor und Nachteile. Wenn man genug Zeit hat, kann man sogar mit dem Fahrrad fahren und die Landschaft genießen. Möchte man weniger Aufwand betreiben, kann man auch mit der Bahn fahren (= einen Dienstleister beauftragen).
  • Straßenbeschaffenheit = Firmenkultur (bzgl. RE)
    Man kann über Autobahnen, Landstraßen oder Feldwege ans Ziel kommen. Genauso kann eine Firmenkultur die Arbeiten im Requirements Engineering beschleunigen oder verlangsamen.
  • Strecke = Prozess
    Viele Wege führen ans Ziel bzw. im Beispiel führen viele Wege von Kaiserslautern nach Leipzig. Es gibt auch nicht den einen besten Weg, alle haben ihre Vor- und Nachteile.
  • Ziel (z.B. Leipzig) = Produkt-/ Projektumfang

Alle vier Punkte müssen jedoch zusammenpassen und aufeinander abgestimmt. Zwar kann man sicherlich mit einem Ferrari über Feldwege von Kaiserslautern nach Leipzig fahren, aber wer will das schon? Sebastian Adam stellte zudem die provokante Frage (natürlich in Bezug auf RE): „Würden Sie mit jemanden von Kaiserslautern nach Leipzig fahren, der keinen Führerschein hat, nicht weiß wo Leipzig ist, nie in einer Fahrschule war und nur sehr selten Auto fährt?“

"Fahren ohne Navigationssystem?"

Ein wichtiger Punkt fehlt jedoch im obigen Vergleich. Wenn wir heute unterwegs sind, möchten wir unser Navigationssystem nicht mehr vermissen. Das Navigationssystem sagt uns genau, wo wir gerade sind, wie lange es noch dauert und wann wir wohin abbiegen müssen. Zudem reagiert unser Navigationssystem auf unvorhergesehene Probleme und bietet uns alternative Routen an. Außerdem bringt uns unser Navigationssystem immer wieder auf die Stecke zurück, falls wir einen kurzen Abstecher gemacht haben. Aber wo ist das Navigationssystem fürs Requirements Engineering? Genau dieser Frage hat sich das Fraunhofer IESE Spin-Off OSSENO angenommen, das Sebastian Adam mit seinen beiden Kollegen Norman Riegel und Özgür Ünalan gegründet hat.

"Flüssige Informationen versichern!"

Mit seinem enthusiastischen Vortrag „Von der Idee bis zum Code: Flüssige Anforderungen fließen besser“ eröffnete Kurt Schneider (Leibniz Universität Hannover) den zweiten Tag der Veranstaltung. Insbesondere ging es dabei um die Erstellung von Informationsflussmodellen mit der FLOW (kein Akronym) Notation. Dabei unterscheidet man feste und flüssige Informationen. Feste Informationen (z.B. Dokumente, Bilder, Mitschriften, …) haben den Vorteil, dass sie langfristig zugänglich sind, an viele Empfänger weitergegeben werden können, und vor allem können Dritte ohne Hilfe etwas damit anfangen. Ein großer Nachteil ist jedoch, dass die Erstellung und auch der Abruf (z.B. das Auffinden) von festen Informationen sehr viel Zeit kostet. Flüssige Informationen sind nicht persistiert und somit nur in den Köpfen von Mitarbeitern vorhanden. Diese können jedoch schnell und effizient übergeben werden. Nachteilig ist jedoch, dass diese Informationen an Individuen gebunden sind, kapazitätsbeschränkt sind und mit der Zeit „versickern“. Bei der Informationsflussmodellierung mit der FLOW Notation wird für jede Information angegeben, ob diese fest oder flüssig ist. Kurt Schneider gibt auch nicht vor, wie flüssig oder wie fest ein Informationsfluss sein sollte. Sieht man sich jedoch einen Informationsfluss an, so ist oft leicht zu erkennen, welche Abschnitte „verflüssigt“ werden sollten, da sie zu starr und unflexibel sind. Genauso leicht ist zu erkennen, welche Abschnitte „verfestigt“ werden sollten.

"Informationen mit Video verfestigen."

Wenn es ums „Verfestigen“ geht, sollten wir nicht immer gleich an epische Dokumente denken. Informationen können auch auf andere Art persistiert werden. Kurz Schneider schlägt hierzu auch vor, Videos zu verwenden. Videos können auf effiziente Art und Weise Dokumente ersetzen. Dem kann ich mich nur anschließen. Auch wir haben schon sehr positive Erfahrungen mit Videos gemacht. Dabei ist ganz wichtig, dass diese Videos nicht OSCAR-reif gespielt, gedreht, geschnitten und produziert werden müssen. Dem Verwendungszweck angemessen können auch einfach erstellte Videos einen großen Nutzen bringen. Es muss aber auch nicht immer (gleich) Video sein. Ich bevorzuge beispielsweise auch Fotoprotokolle von Meetings. Einfach die Whiteboards, Flipcharts oder sonstigen Ergebnisse, die im Meeting erarbeitet wurden abfotografieren und in einem PDF-Dokument zusammenfassen. Der Aufwand einer manuellen Digitalisierung (d.h. Abtippen der Bilder) bietet oft keinen Mehrwert, der den Aufwand rechtfertigt.

Alles in allem war es wieder mal eine tolle Veranstaltung bei den Softwareforen. Ich freue mich schon auf meinen nächsten Besuch in Leipzig.

© 2023 mibinu

Theme von Anders NorénHoch ↑