Am 16.-18. Oktober findet in London The O’Reilly Software Architecture Conference 2017 statt. Wir freuen uns schon sehr, dabei wieder auf unterhaltsame Weise unseren Zuhörern nahezubringen, wie eng die Verbindung zwischen User Experience und Softwarearchitektur ist (oder sein sollte!):
How do Software Architects find the way to User Experience? With Google Maps!
Eine hervorragende Softwarearchitektur und eine tolle User Experience sind zentrale Erfolgsfaktoren von Softwaresystemen. Unser Vortrag betrachtet das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Bereichen. Dabei gehen wir nicht nur auf die durchaus unterschiedlichen Personengruppen der Softwarearchitekten und UX Designer ein, sondern betrachten auch den Zusammenhang und die Tradeoffs zwischen tollen UX Konzepten und technischen Konzepten, die zur Umsetzung benötigt werden. Wir illustrieren am Beispiel von Google Maps, welche architektonischen Höchstleistungen notwendig sind, um die Google-Experience zu erreichen, das heißt: Google-typische Einfachheit zu gewährleisten und Google-typische Mega-Dienste überhaupt zu ermöglichen. Der Vortrag zeigt auf, wie trotz der unterschiedlichen Charaktere von Architekten und UX Designern großartige Systeme erschaffen werden können.
Wir freuen uns sehr, bei der OOP 2017 als Sprecher dabei sein zu dürfen. Mit 8 Tracks zu spannenden Themen rund um Softwareentwicklung verspricht die OOP wieder ein echtes Highlight zu werden.
Software revolutioniert fast jede Art von Business durch neuartige Ökosysteme. Die Erstellung erfordert Kompetenzen, die weit über das klassische Systems- und Software-Engineering hinausgehen. Zentrale Herausforderungen sind höhere Komplexität bei kürzerer Time-To-Market, geteilte Verantwortung und Kontrolle über mehrere Unternehmen und Domänen hinweg sowie die immer höher werden Anforderungen an Sicherheit, User Experience, und andere Qualitäten. Wir charakterisieren Softwareökosysteme und zeigen notwendige Kompetenzen, um diese zu bauen.
Ereignisorientierung ist in vielen Aspekten für IoT-Systeme geeignet, weil reale Ereignisse verarbeitet werden. Die passende Architektur und Implementierung ist aber alles andere als offensichtlich und erfordert, dass sich Architekten und Entwickler gemeinsam um viele Details kümmern. Wir zeigen Lösungen für ein skalierbares und erweiterbares App-Ökosystem mit Logistikfokus: Error Handling, Schnittstellen, Daten- und Eventmodellierung mit Generierung von Entwickler-spezifischen Sichten, Einfluss auf die Clients und Umsetzung in AWS mit Reactor.
Dieser Vortrag ist zusammen mit unserem Kollegen Balthasar Weitzel.
Wir freuen uns auf eine spannende Konferenz und viele interessante Diskussionen. Hier geht es zum vollständigen Konferenzprogramm.
Am 12. und 13. Oktober findet in München The Architecture Gathering 2016 statt. Letztes Jahr war die Veranstaltung ein voller Erfolg mit vielen Teilnehmern, hochkarätigen Sprechern und tollen Vorträgen. Dieses Jahr sind wir auch mit einem Vortrag dabei und freuen uns schon sehr auf die Veranstaltung:
Wie finden Softwarearchitekten den Weg zu User Experience? Mit Google Maps!
Eine hervorragende Softwarearchitektur und eine tolle User Experience sind zentrale Erfolgsfaktoren von Softwaresystemen. Unser Vortrag betrachtet das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Bereichen. Dabei gehen wir nicht nur auf die durchaus unterschiedlichen Personengruppen der Softwarearchitekten und UX Designer ein, sondern betrachten auch den Zusammenhang und die Tradeoffs zwischen tollen UX Konzepten und technischen Konzepten, die zur Umsetzung benötigt werden. Wir illustrieren am Beispiel von Google Maps, welche architektonischen Höchstleistungen notwendig sind, um die Google-Experience zu erreichen, das heißt: Google-typische Einfachheit zu gewährleisten und Google-typische Mega-Dienste überhaupt zu ermöglichen. Der Vortrag zeigt auf, wie trotz der unterschiedlichen Charaktere von Architekten und UX Designern großartige Systeme erschaffen werden können.
Der Bitkom AK Softwarearchitektur trifft sich am 07. Juni 2016 in Frankfurt zum Thema: Moderne Rollenbilder für das Software Engineering
Wir sind auch mit einem Vortrag dabei:
Who is engineering the Software, which is eating the world?
Software revolutioniert die Welt und fast jede Art von Business durch Digitalisierung und neuartige Ökosysteme. Die Erstellung solcher Systeme erfordert Kompetenzen, die weit über das klassische Systems- und Software-Engineering hinausgehen. Zentrale Herausforderungen dabei sind domänenübergreifendes Arbeiten, immer höhere Komplexität bei trotzdem geforderter kürzerer Time-To-Market, geteilte Verantwortung und Kontrolle über mehrere Unternehmen hinweg sowie die immer höher werdenden Anforderungen an Sicherheit, User Experience, und andere Qualitäten. Wir stellen in diesem Vortrag die Charakteristiken von Softwareökosystemen vor und welche Kompetenzen notwendig sind, um diese zu bauen.
Hier geht es zur Agenda und zu Infos zum Veranstaltungsort.
Wir freuen uns auf spannende Diskussionen zu vielfältigen Facetten zukünftiger Rollenbilder im Softwareengineering.
Kreative Entwickler wünschen sich Projekte auf der Grünen Wiese. Jedoch zerstören weit mehr Einschränkungen als nur Legacy-Systeme diesen Wunschtraum.
Wir Softwareentwickler fühlen uns zunehmend eingeschränkt, beengt und nahezu erstarrt in unserem Schaffen und unserer Kreativität. Statt möglichst viel zu gestalten sind wir den Zwängen historisch gewachsener Systeme, überbordender Wartungsaufwände, verschleppter Modernisierung und veralteter Technologien erlegen. Das liegt daran, dass wir häufig in sogenannten Brownfield-Projekten arbeiten müssen, bei denen wir uns mit Legacy-Systemen rumärgern müssen.
Deshalb wünschen wir uns sehr oft, endlich mal wieder ein System auf der Grünen Wiese (Greenfield) hochzuziehen und die volle Freiheit zu genießen. Die Grüne Wiese lockt uns mit allem Gestaltungsspielraum und verspricht uns, mit unserer Kreativität die kompromisslos beste Lösung zu erreichen.
Gerne würden wir alles was wir haben hinter uns lassen und nochmal komplett neu entwickeln (siehe auch „Das neue System muss aber das Gleiche können …“). Noch lieber würden wir wie ein neues Startup, losgelöst von eingefahrenen Prozessen und Vorschriften, agieren und ein komplett neues System auf der Grünen Wiese hochziehen.
Leider ist die Grüne Wiese heute nur noch eine Illusion und ihre Bebauung bleibt damit ein Wunschtraum. Nachfolgend zeigen wir 4 Kategorien von Einschränkungen, die uns die Grüne Wiese so gut wie immer verbauen, obwohl weit und breit kein Legacy-System zu sehen ist.
Integration
Zunehmende Vernetzung: Fast kein System wird heute noch in Isolation gebaut. Daher zerfurchen uns die Vorgaben und Schnittstellen der Partner-Systeme die Grüne Wiese.
Ökosysteme: In Ökosystemen sind wir nie alleine. Deshalb verschandeln uns Kompromisse mit unseren Ökosystem-Partnern die Grüne Wiese.
Social Media: Die Erwartungshaltung von Nutzern ist heute eine tiefgreifende Integration mit globalen sozialen Netzwerken (z.B. Login mit Facebook oder Twitter). Die damit einhergehenden Vorgaben torpedieren die Grüne Wiese.
Technologien
Frameworks: Frameworks und Technologien ermöglichen uns, dass wir uns besser auf unsere Kernfunktionalität fokussieren können. Die damit einhergehenden Einarbeitungsaufwände und Beschränkungen verhageln uns die Grüne Wiese.
Cloud Computing: Infrastructure-as-a-Service (IaaS) und Platform-as-a-Service (PaaS) bieten uns extreme Skalierbarkeit. Die Einhaltung der dazu notwendigen Architekturvorgaben verbaut uns die Grüne Wiese.
Mobile: Wenn wir erfolgreiche mobile Apps anbieten wollen, kommen wir an iOS und Android nicht vorbei. Die Entwicklungsplattformen, die Bereitstellung über App-Stores und die aufgezwungenen Geschäftsmodelle untergraben die Grüne Wiese.
Richtlinien
Styleguides: Eine konsistente Benutzung und positive User Experience wird durch die Einhaltung von Styleguides erleichtert. Dadurch sind der Kreativität und Innovationen Grenzen gesetzt, die die Grüne Wiese ramponieren.
Enterprise Architecture: Mit der Vorgabe einer Enterprise Architecture verhindern große Unternehmen unkontrollierbaren Wildwuchs auch bei der Technologieauswahl. Diese Einschränkung zerstört die Grüne Wiese.
Erwartungen
Erwartungshaltung der Nutzer: Bei vielen Nutzern hinterlassen weit verbreitete (de-facto Standard-) Anwendungen (wie z.B. Microsoft Word) eingebrannte Erwartungshaltungen bezüglich Benutzung und Funktionalität. Diese verbrennen die Grüne Wiese.
Aktuelle Trends: Was Nutzer als zeitgemäße und moderne Anwendungen wahrnehmen unterliegt sich ändernden Trends (wie z.B. Flat Design). Die Berücksichtigung dieser Trends verhunzt die Grüne Wiese.
Offensichtlich treffen diese Einschränkungen leider nicht nur auf Großunternehmen zu, sondern auch auf Startups. Lediglich die vorherrschenden Einschränkungen unterscheiden sich je nach Umfeld, in dem wir arbeiten.
Vergessen wir also den Wunschtraum von der Grünen Wiese. Verwenden wir lieber unsere Energie, um die verbleibenden Freiheitsgrade optimal auszunutzen, statt dem Phantom „Grüne Wiese“ hinterherzujagen.
Kennt ihr noch weitere Einschränkungen in unseren oder weiteren Kategorien, dann schreibt diese bitte in den Kommentarbereich. Und vergesst nicht ein schönes Verb, wie dadurch die Grüne Wiese in Mitleidenschaft gezogen wird 😉
Jeder von Euch war sicherlich schon in einer solchen Situation:
Der Chef kommt von einer Konferenz: „Wir führen jetzt DevOps ein!“
Ein Kollege kommt von einer UX-Weiterbildung: „Wir sollten ab jetzt Paper Prototyping machen!“
Der Product Owner kommt von einem neuen Kunden: „Wir sollten den Kunden ganz eng in die Entwicklung einbinden!“
Der CIO kommt von einem Vortrag über Netflix: „Unsere Software muss jetzt bei Amazon Web Services betrieben werden.“
Alle berichten enthusiastisch über ihre neuen Erkenntnisse und die Reaktion der Kollegen ist häufig die gleiche: „Das ist zwar schön, geht aber bei uns nicht, weil:“
Auf den ersten Blick erscheint diese Aussage meist plausibel und wird oft öffentlichkeitswirksam mit einem Beispiel unterlegt. Dennoch hält diese Aussage bei genauerem Hinsehen oft nicht stand. Hierfür sind uns bisher hauptsächlich 2 Ursachen begegnet: Subjektiv wahrgenommene, extreme Komplexität oder eine überzogene Erwartung bezüglich der Präzision von Software Engineering (SE) Methoden.
Dass wir uns in der eigenen Domäne besonders gut auskennen, ist eine absolute Stärke und notwendig, um tolle Produkte zu bauen: Wir kennen die Kunden (manche davon sogar persönlich), die Konkurrenz, den Markt, wichtige Einflussfaktoren und vor allem die Historie des eigenen Unternehmens.
Das hat aber nicht nur Vorteile: Weil wir für unser eigenes Unternehmen alle Details und (noch so abstrusen) Spezialfälle kennen, erscheint unser eigenes Business als viel komplizierter als das der Konkurrenz. Weil wir deren Details und Spezialfälle eben nicht kennen, tendieren wir eher dazu, sie zu simplifizieren. In unserem eigenen Unternehmen sehen wir oft den Wald vor lauter Bäumen nicht und die Fähigkeit zur Abstraktion bleibt im Tagesgeschäft auf der Strecke. Wir tendieren somit dazu, die Situation im eigenen Unternehmen zu übertreiben und die Situation von anderen Unternehmen zu untertreiben.
Die wahrgenommene Komplexität (im eigenen Unternehmen) nimmt noch dadurch zu, dass Unternehmen oft groß sind und das Wissen auf viele Köpfe verteilt ist. Somit ist es dem Einzelnen meist gar nicht möglich, sich eine Übersicht zu verschaffen. Um trotzdem zur notwendigen Abstraktion zu kommen, müssen sehr viele Leute involviert werden. Die dadurch entstehende Prozesskomplexität wird dann als Komplexität des zu lösenden Problems wahrgenommen. Diese Prozesskomplexität nimmt man bei der Konkurrenz nicht wahr und somit erscheint deren zu lösendes Problem einfacher.
Wahrgenommene Komplexität in Abhängigkeit zum eigenen Detailwissen
Schauen wir uns als Beispiel die Einführung von DevOps an. Wir haben von vielen Unternehmen gehört, dass es erfolgreich eingeführt wurde. Soll es aber bei uns zum Einsatz kommen, dann fallen uns alle Details ein, die dagegen sprechen: alle zu involvierenden Personen und ihre Eigenheiten, Machtspiele und Veränderungsresistenzen, die Komplexität in Varianten und Releases der eigenen Produkte und Systeme und alle internationalen Unterschiede. Alle diese Details sind uns von den anderen Unternehmen nicht bekannt und führen somit nicht zu wahrgenommener Komplexität.
(Uns) Informatikern fällt es besonders leicht, Gegenbeispiele zu finden, die belegen, dass eine Neuerung nicht 100%ig angewendet werden kann. Dies gilt meist sogar für eine Anwendung im Allgemeinen aber auf jeden Fall für eine Anwendung im eigenen Unternehmen. Selbst wenn die Neuerung zu 99,9% angewendet werden könnte, so finden wir die 0,1%, in denen es nicht funktioniert. Somit liefern wir den Todesstoß durch Gegenbeispiele:
„Herr Müller aus dem Betrieb würde niemals mit uns zusammenarbeiten, daher können wir kein DevOps einführen!“
„Bei uns können nicht alle Mitarbeiter zeichnen, somit können wir kein Paper Prototyping einführen!“
„Die meisten unsere Kunden wissen eh nicht was sie brauchen, somit können wir sie auch nicht in die Entwicklung mit einbinden!“
„Wir hatten auch schon mal Kunden aus dem militärischen Bereich, somit dürfen wir gar keine Daten in der Cloud speichern und schon gar nicht bei einem Unternehmen aus den USA!“
Häufig ist jedoch unser Anspruch an SE-Methoden zu hoch. Statt zu erwarten, dass sie uns in einem überwiegenden Teil der Fälle helfen, erwarten wir 100% Anwendbarkeit und Präzision, am besten anwendbar ohne viel Vorwissen und trotzdem mit tollen Ergebnissen. Sofern dies nicht vollständig gegeben ist, tendieren wir stark zur Ablehnung der Methode. Eine solch ablehnende Haltung wird dann gleich noch generalisiert und die Anwendbarkeit der Methode grundsätzlich in Frage gestellt. Es erscheint plausibel, die 99,9% Verbesserung sicherheitshalber fallen zu lassen, da die Methode nicht 100% funktioniert.
Dabei vergessen wir leider: Software Engineering ist keine exakte Wissenschaft. Vielmehr dient es dazu, den Umgang mit vielen komplexen Einflussfaktoren in der Entwicklung von Software besser beherrschbar zu machen:
Mitarbeit von vielen Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Wissensständen
Lösung immer neuer Problemstellungen durch Software. Diese Problemstellungen sind meist nicht klar, ändern sich über die Zeit und werden von verschiedenen Menschen verschieden wahrgenommen
Verwendung innovativer Technologien, die häufig nicht in allen Facetten verstanden sind
In einem solch komplexen und heterogenen Umfeld ist es eigentlich klar, dass SE-Methoden nur mit Abstraktionen arbeiten und Approximationen anbieten können. Sie sind selten wirklich formal und erfordern immer ein gewisses Expertenwissen. Im Umkehrschluss ist es dann die Aufgabe der anwendenden Menschen, die Übertragbarkeit oder Nichtübertragbarkeit zu erkennen und im Falle einer Anwendung auch konkret auszugestalten.
In der konkreten Anwendung von SE-Methoden bleibt daher immer der Mensch gefordert: Er hat Gestaltungsspielraum und kann seine Kreativität einbringen. Softwareentwicklung ist keine überaus planbare und vorhersehbare Aktivität, sondern erfordert einen hohen Grad Forschungs- und Planungstätigkeiten (Gedanken dazu in einem Blog-Beitrag von Ralf Westphal).
Tätigkeiten mit extrem hoher Wiederholbarkeit (wie zum Beispiel Montage am Fließband) gibt es bei der Softwareentwicklung fast nicht, insbesondere weil Software, einmal erschaffen, beliebig ohne Aufwand vervielfältigt werden kann. Für alle wiederkehrenden Aufgaben entstehen Tools zur Automatisierung, wie zum Beispiel für die Testautomatisierung oder für Continuous Delivery. Zu großen Teilen ist Softwareentwicklung aber weniger formal und planbar und fordert mehr den Menschen. Wäre dies nicht so, dann wäre Softwareentwicklung mittlerweile vollständig automatisiert und nicht mehr auf Menschen angewiesen. Obwohl das offensichtlich ist, haben dennoch viele den Wunsch nach einer Supermethode, die perfekt auf jeden Kontext passt, völlig reproduzierbar ist (und im Falle der Existenz direkt alle Jobs kosten würde).
Das alles soll natürlich nicht heißen, dass SE-Methoden nicht noch weitaus besser werden können und müssen. Mary Shaw zeigt sehr gut auf, wie sich Software Engineering gegenwärtig gegenüber anderen Ingenieursdisziplinen positioniert und welches Verbesserungspotential noch besteht. Die (angewandte) Forschung hat also noch viel zu tun!
In diesem Wissen über SE-Methoden müssen alle Beteiligten handeln: nicht vorschnell Methoden und Ideen ablehnen. Bevor wir sagen „bei uns ist alles anders“ sollten wir darüber nachdenken, wo Abstraktion und Approximation am Werk sind. Die Kunst ist es also gerade nicht, durch ein Gegenbeispiel eine neue Idee auszuhebeln, sondern umfassend zu beurteilen, ob in der Summe eine SE-Methode wirtschaftlich und erfolgreich einsetzbar ist. Das Ergebnis einer Beurteilung ist oft nicht offensichtlich, wer jedoch zu einem Ergebnis kommen kann ist offensichtlich ein Experte.
Wir alle haben sie schon gehört, die einfachste Anforderung der Welt:
Diese Anforderung hört sich zunächst plausibel an. Sie tritt fast immer auf, wenn Unternehmen aus folgenden Gründen ein Softwaresystem modernisieren oder erneuern müssen:
„Wir machen jetzt SOA!“
Ein neues vielversprechendes Architekturparadigma soll verfolgt werden
„Finger weg! Keiner weiß was passiert, wenn wir das anfassen!“
Niemand traut sich mehr, bestimmte Teile des Systems überhaupt noch zu ändern
„Das zahlt uns doch kein Kunde!“
Eine unzureichende Wartbarkeit macht Änderungen viel zu teuer
„Wir gehen jetzt in die Cloud!“
Ein neues Geschäftsmodell soll verfolgt werden
„Silverlight ist tot!“
Eine bisher eingesetzte Technologie wird abgekündigt
„So wie bei Apple!“
Das User Interface soll moderner werden
„Unser Vertrieb braucht jetzt auch Apps!“
Neue Interaktionsgeräte sollen genutzt werden
In allen diesen Fällen scheint es zunächst plausibel, dass das modernisierte oder erneuerte Softwaresystem das Gleiche können soll wie das alte. Schließlich ändern sich nicht die Features, sondern nur die Architektur (die ersten fünf Fälle) oder die User Experience (die letzten vier Fälle).
Schauen wir uns die Fälle also genauer an:
Die Architektur soll sich ändern: Das Softwaresystem ist offensichtlich schon älter! Das heißt, dass seit dem Zeitpunkt der ursprünglichen Konzeption schon einiges an Zeit vergangen ist. In dieser Zeit wurden viele Ergänzungen und Änderungen umgesetzt. Jede dieser Ergänzungen und Änderungen wurde mit Rücksicht auf den jeweiligen Zustand des Systems oder die Situation des Unternehmens durchgeführt:
„Das haben wir auf die Schnelle mal reingebaut!“
„Das sollte eigentlich nie so lange drin bleiben!“
„Das benutzt schon seit Jahren keiner mehr, aber die Entfernung ist zu riskant!“
„Wir mussten damals auf vorhandene Features Rücksicht nehmen: Hätten wir die Freiheit gehabt, hätten wir es ganz anders gemacht!“
Offensichtlich wurden in der Lebenszeit des Systems (oft aus guten Gründen) viele Kompromisse eingegangen, die sich im heutigen System widerspiegeln. Diese Kompromisslösungen wollte eigentlich niemand haben und somit ist auch das System nicht so, wie man es eigentlich haben wollte. Wird das System jetzt massiv modernisiert oder gar erneuert (wie es für eine Architekturänderung nötig ist), dann ist es offensichtlich, dass das neue System gerade nicht das Gleiche machen soll wie das alte.
Anforderungen im Lebenszyklus eines Softwaresystems
Die User Experience soll sich ändern: Hier geht es gerade darum, das System anders zu benutzen als zuvor.
„Es soll einfacher zu benutzen sein!“
„Es soll nicht mehr so kompliziert sein!“
„Wir benutzen nur 15% der Features!“
„Es sieht noch aus wie in den 80ern!“
„Auf meinem iPad geht alles einfacher!“
Der Wunsch nach veränderter Benutzung führt immer dazu, dass sowohl Interaktionsdesign als auch visuelles Design massiv überarbeitet werden müssen. Deshalb ist es offensichtlich, dass das neue System gerade nicht das Gleiche machen soll wie das alte. Eine massive Überarbeitung des Interaktionsdesigns oder der Einsatz einer neuen Client-Plattform (z.B. Mobile statt Desktop) führt so gut wie immer auch zu einer Anpassung der darunterliegenden Architektur und damit zu noch mehr Aufwand.
Sowohl für die Veränderung der Architektur als auch der User Experience stellen wir somit fest:
Die Veränderungen führen zu massivem Aufwand!
Das neue System soll gerade nicht das Gleiche machen wie das alte!
Die einfachste Anforderung der Welt ist somit unsinnig und führt immer zu stark unterschätztem (und auch unnötigem) Aufwand für die Rekonstruktion aller alten Anforderungen, da diese natürlich nie konsistent und vollständig dokumentiert sind. Dennoch hören wir diese Anforderung immer wieder. Und warum? Weil sie so einfach zu formulieren ist, und zwar von jedem, egal wie gut er das System kennt.
Trotzdem hat diese Anforderung auch einen wahren Kern. Natürlich muss man für eine Modernisierung oder Erneuerung viele der alten Anforderungen wieder rekonstruieren und berücksichtigen, aber eben nicht pauschal alle.
Den signifikanten Einfluss, den ein Technologiewechsel sowohl auf die Architektur eines Systems, als auch auf die User Experience hat, zeigt das Evolutionsbeispiel der Nikon F100 Spiegelreflex-Kleinbildkamera zur Nikon D100 Spiegelreflex-Digitalkamera. Eine neue Technologie eröffnet oft auch neue Möglichkeiten (hier z.B. die Vorschaufunktion am eingebauten Monitor) und macht bisherige Funktionen überflüssig (hier z.B. das Zurückspulen eines Films).
Die Kunst liegt nun genau darin, die Unterscheidung zu treffen, welche Anforderungen vom alten System noch gebraucht werden und welche nicht. Der Ansatz, um auf die zukünftigen Anforderungen zu kommen, besteht gerade nicht darin, zunächst alle alten Anforderungen genau zu erheben und dann die irrelevanten wieder zu streichen. Stattdessen empfehlen wir, die Hauptanforderungen konstruktiv aus der intendierten Benutzung abzuleiten und nicht aus den Features des alten Systems. Dies ist die neue Grundlage für die zukünftige Architektur des Systems. Auf diesem stabilen Fundament kann dann das neue System aufgebaut werden. Bei bestätigtem Bedarf können Detailfeatures aus dem alten System konsistent ergänzt werden.
Wenn schon, dann gleich richtig!
Wir haben gezeigt, dass die Modernisierung oder Erneuerung eines Systems für eine Verbesserung der Architektur und der User Experience IMMER zu hohem Aufwand führt und das neue System NIE das Gleiche machen soll wie das alte. Wer also diesen hohen Aufwand auf sich nimmt, sollte bei einer Modernisierung oder Erneuerung NIE versuchen, die gleichen Anforderungen wie vorher umzusetzen. Offensichtlich, oder?
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