Brandenburger Tor, angestraht mit Herzen und  "We love Berlin"  beim Festival of Light

Ich komme gerade vom BITKOM UUX Fachgruppentreffen in Berlin und warte am Flughafen Tegel auf meinen Rückflug. Die Teilnahme hat sich voll und ganz gelohnt. Zum angekündigten Streitgespräch kam es jedoch nicht. Im Großen und Ganzen waren sich die Teilnehmer einig, obwohl sehr viel und auch sehr emotional diskutiert wurde. Deutlich mehr als bei ähnlichen Veranstaltungen, vor allem sobald das Thema Scrum oder Design Thinking angesprochen wurde.

"Betroffenheit hervorrufen!"

Es wurden zwar unterschiedlichste Themen rund um das Thema Usability und User Experience diskutiert, in jedem Vortrag oder der zugehörigen Diskussion wurde jedoch auf die eine oder andere Art über die Evaluation von Usability und UX gesprochen: Wann sollte man mit welcher Methode und wie oft evaluieren? Ulf Schubert (DATEV) hat hierzu etwas Interessantes erzählt. Bei der DATEV muss das gesamte Entwicklungsteam während einer Usability Evaluation anwesend sein. Es sind somit nicht nur die Qualitätssicherungs- und Usability Experten anwesend, sondern alle an der Entwicklung beteiligten Personen. Das Team kann die Testnutzer durch eine Scheibe im Usability Labor beobachten. So bekommt jeder im Team direkt mit, sobald ein Testnutzer ein Problem mit der Benutzung hat. Kommt ein Testnutzer in größere Schwierigkeiten bei der Benutzung, so löst das beim anwesenden Projektteam Betroffenheit aus. Genau das ist das Ziel von Ulf Schubert: „Im Projektteam soll Betroffenheit hervorgerufen werden.“ Ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, dass man deutlich besseres Verständnis im Projektteam erreicht, wenn man Videos von Problemen während der Nutzung von Testnutzern zeigt und nicht nur die Anzahl von Problemen in einer Tabelle listet. Zwar hört sich „18 von 20 Nutzern haben das Produkt nicht auf die intendierte Art und Weise gestartet“ auch nicht gerade gut an, zeigt man aber einen Video-Zusammenschnitt dieser 18 (oder 20) Starts, so stellt sich Betroffenheit und anschließend Verständnis im Projektteam viel schneller und eindringlicher ein. Nach Aussage von Ulf Schubert, funktioniert es aber noch besser, wenn das Projektteam live beim Test mit anwesend ist. Das Projektteam hat auch immer Whiteboards zur Verfügung, um direkt Verbesserungsvorschläge zu diskutieren. Natürlich nur untereinander und nicht mit den Testnutzern. Weitere Tipps von Ulf Schubert gibt es in seinem User Experience Blog. Er hat auch zwei Beträge zum Fachgruppentreffen verfasst (Vormittag, Nachmittag).

"UX Testing - Quo Vadis?"

Eine weitere Interessante Frage, die diskutiert wurde ist: Wer führt zukünftig eigentlich UX Tests durch? Momentan liegt diese Kompetenz hautsächlich bei Beratungshäusern und Usability/UX Agenturen. Derzeit bauen aber immer mehr Design Agenturen diese Kompetenz auf und bieten auch UX Tests an. Hinzu kommt, dass immer mehr Unternehmen eigene UX Test-Kompetenz aufbauen, um die Evaluation selbst durchführen zu können. Immer öfter werden UX Test sogar im unternehmenseigenen UX Labor durchgeführt. Wohin sich das entwickelt, werden wir in den nächsten Jahren feststellen. Es bleibt also spannend.

"Die Erotik-Branche schiebt neue Technologien an."

Mit seinem Vortrag „Do you understand me? Supernatural and innovative interactions“ eröffnete Sascha Wolter (Deutsche Telekom) das Fachgruppentreffen fulminant. Wer die Gelegenheit hat, sollte sich unbedingt einmal eine Präsentation von Sascha Wolter ansehen (hier stehen seine Vortragstermine). Voller Energie und Enthusiasmus berichtete er vom Internet of Things (IoT). Interessant fand ich seine Aussage „Die Erotik-Branche schiebt neue Technologien an.“ Das galt für die das Internet, die DVD, HD-Video, usw. „Als nächstes ist wohl das IoT dran. Es ist unglaublich, was es da schon alles gibt.“

Wenn es um neue Interaktionsmöglichkeiten geht, es ist es wichtig, dass man nicht nur darüber redet, sondern diese unbedingt persönlich ausprobiert. Nur dann kann man wirklich auch wirklich darüber reden. Entwickelt man selbst gerade eine neue Interaktionsform, dann sollte man diese unbedingt prototypisch umsetzen und ausprobieren. Das gilt nicht nur für die Software, sondern auch für die zugehörige Hardware. Es muss ja nicht immer gleich perfekt sein. 3D Drucker, Bausätze und ähnliche Hilfsmittel unterstützen uns heute immer mehr dabei. Sascha Wolter ist ein großer Fan vom Ausprobieren und hat z.B. auch das Autofahren mit einer Blackbox seiner Versicherung getestet, die guten Autofahrern bessere Tarife verspricht: „Ich probiere das alles mal aus und sehe mir an, wozu das führt und erziehe meine Kinder zu einem bewussten Umgang mit Daten.“

Besonders wenn es um das IoT geht bedauert Sascha Wolter, dass die Systeme immer noch zu wenig Empathie besitzen. Wir können heute jede Lampe in jedem Raum unserer Wohnung oder unseres Hauses dazu bringen, genau das richtige Farbschema zu erzeugen, das am besten zu unserer momentanen Gemütslage passt. Allerdings müssen wir dieses Farbschema noch selbst auswählen. Die Systeme können unsere Gemütslage momentan noch nicht ausreichend gut erkennen. Die notwendige Technologie ist hierzu wahrscheinlich sogar schon vorhanden. So gibt es beispielsweise in Japan Getränkeautomaten, die mit einfachen Sensoren die Gemütslage den Käufers (vorgeben zu) erkennen und ein passendes Getränk auswählen.

"Business Artists"

Am Nachmittag hat Dirk Dobiéy (SAP) mit „Learning from creative disciplines for better outcomes in business and society“ eine weitere beeindruckende Präsentation gehalten. „Es wird immer mehr automatisiert, nicht nur der Börsenhandel, sondern sogar die Berichte über den Börsenhandel. Immer mehr Wissensarbeiter werden automatisiert. Welche Eigenschaften müssen wir denn überhaupt zukünftig haben?“ Dirk Dobiéy und seine Kollegen von Age of Artist glauben, dass solche Eigenschaften in künstlerischen Bereichen gefunden werden können und haben mit Künstlern aus unterschiedlichsten Bereichen gesprochen. Dabei haben sie versucht herauszufinden, was Künstler ausmacht, was sie antreibt und ob es gemeinsame Eigenschaften gibt. Diese Eigenschaften werden dann immer in Bezug oder besser in Kontrast zum momentanen Business-Alltag gesetzt. Um wieder das Beispiel der Evaluation aufzugreifen, ist ihnen beispielsweise aufgefallen, dass in der Geschäftswelt leider immer noch oft gesagt wird „Das gefällt mir nicht!“ oder „Ich würde das nicht so machen!“. Künstler sprechen in einer Evaluation subjektiver und emotionaler „Ich sehe hier…“ oder „Ich fühle dabei…“. Dirk Dobiéy gibt folgende Eigenschaften von Künstlern an, die sie von Geschäftsleuten unterscheiden:

  • Planning by Doing. Making to Learn.
  • Exploration without Intention.
  • Substantial Amounts of Search and Reflection.
  • Accepting Ambiguity and Crisis.
  • Appreciating Feeling and Emotions.
  • Everything is a Derivative: Finding again the New.
  • Non-Linear.

Zudem gibt Dirk Dobiéy folgende Eigenschaften an, die wir entwickeln müssen, um „Business Artists“ zu sein:

  • Observation & Listening
  • Dialogue & Conversation
  • Exploring & Deconstructing
  • Abstracting & Simplification
  • Generating Ideas & Experimenting
  • Problem Solving
  • Collaboration & Cooperating
  • Giving Feedback & Dealing with Critique
  • Reframing & Improvising
  • Designing & Performing

Knowledge-Worker benötigen schon heute aber vor allem in der Zukunft andere Fähigkeiten, vor allem Soft Skills. Es reicht zudem nicht aus, nur einen gut ausgeprägten Soft Skill zu haben, sondern wir werden immer mehr beherrschen müssen. Ob es genau diese Skills sind, die im Vortrag angesprochen wurden ist dabei gar nicht so wichtig. Der vorgestellte Ansatz, bei Künstlern nach solche Eigenschaften zu suchen, ist jedoch sehr spannend.

Ich freue mich schon auf das nächste UUX Fachgruppentreffen, das wohl noch dieses Jahr stattfinden wird.